Phil-osophie am Freitag
Heute ist Freitag! Das ist grundsätzlich schon mal ein schöne Sache.
Heute Morgen bin ich beim Durchwühlen meiner Taschen auf eine kleine Übung aus der Vergangenheit gestoßen, von der ich Ihnen gerne erzählen möchte: Aus purer Langeweile dachte ich mir vor einiger Zeit in der U-Bahn am Montagmorgen folgendes Spiel aus: Ich nahm einen der kleinen Zettel, die ich immer bei mir trage, falls mir ein merkenswerter Gedanke oder ein schönes Zitat für meine Sammlung über den Weg läuft und versah ihn mit folgender Strichliste:
Zusammenfassend kann ich sagen: Das war eine einsichtsreiche Woche. Die Liste, die ich hier aus Datenschutzgründen nur ohne die Ergebnisspalte zeige (ja, das ist eine Ausrede) füllte sich rascher als erwartet. Deutlich rascher sogar. Spannenderweise zeigte sich, dass es scheinbar eine Kausalkette gibt: Im Normalfall habe ich mich erst geirrt und dann kompletten Blödsinn geredet. Trotzdem hat es nicht zum Erfolg geführt (komisch). Das hat mich dann geärgert, woraufhin ich das Gefühl hatte, gegen eine Wand gerannt zu sein. Danach bin ich einfach weitergerannt, versuchend, zu dem blöden Gesicht wenigstens noch einen guten Eindruck zu machen – um dann festzustellen, dass auch das nicht geklappt hat. Über die Zeit habe ich realisiert, dass sich Frust und Ärgernis zu einem großen Teil vermeiden lassen, wenn man diesen Weg für sich selbst erkennt um im richtigen Moment sagen zu können: „Ha! Da isses wieder“. Und dann etwas reflektierter an die ganze Sache heranzugehen – unter eleganter Umgehung der Frustration der folgenden „ich reite mich immer tiefer rein“-Abläufe.
Im Grunde geht es überhaupt NICHT darum, sich nicht mehr über sich selber ärgern – das halte ich für eine großartige Sache – sondern darum, zu wissen, was gerade in einem passiert. Natürlich wird – Gott sei Dank -niemand jemals „Fehler“ oder „Hürden“ aus seinem Leben streichen können. Dafür gibt es einen guten Grund, erstens wären Menschen ohne Fehler nicht sehr interessant. Das hat die Literaturnobelpreisträgerin Pearl S. Buck schön formuliert: „Große Tugenden machen einen Menschen bewundernswert, kleine Fehler machen ihn liebenswert“. Und 2. sollte man lediglich dafür sorgen, den selben Fehler nicht unbedingt zu wiederholen (es sei denn, er hat Spaß gemacht). Schon der britische Philosoph Bertrand Russel empfahl uns: „Man sollte den selben Fehler niemals zweimal machen, denn es gibt eine große Auswahl an neuen!“ Nach einigen Wochen habe ich eine weitere Zeile hinzugefügt: Sie trug den Titel „habe über mich selbst gelacht“. Interessanterweise stieg die Anzahl der Einträge in dieser Zeile genauso schnell wie die in den ersten beiden Zeilen.
Fazit: Ich mache immer noch leidenschaftlich gerne „Fehler“, habe aber mehr Spaß dabei. Und sie besetzen meinen Kopf nicht so lange. Das hat große Vorteile.
Zusammenfassend glaube ich, dass unser Gehirn, das eigentlich ein guter Freund ist, wenn auch ein fauler, trainiert werden kann wie ein Muskel. Es ist normalerweise so eingerichtet, dass es Aufregung und Stress von uns fernzuhalten versucht und gerne „bekannte Bahnen“ wählt. Mit nervigen Gedanken ist es ähnlich wie mit den oben beschriebenen Abläufen, die unser Gehirn scheinbar im Autopilot durchspielt. Schauen wir zum Beispiel mal auf den Versuch, alles, wirklich alles was geschieht als Option zu begreifen. Als Option, etwas wirklich Gutes, etwas Hervorragendes, etwas Belangloses oder etwas wirklich Blödes zu werden. Nun verfügt das Gehirn – ganz stark vereinfacht gesagt – über eine Art „Entscheidungszentrum“, in dem festgelegt wird, ob das Ganze in Richtung „Toll“ oder „Mist“ geleitet wird. Diese Entscheidung bedarf aber eines gewissen Aufwands. Reflektion zum Beispiel. Unser (faules) Gehirn beschließt vielleicht irgendwann, doch einfach einen Trampelpfad anzulegen. In Richtung „Mist“. Weil die Gedanken scheinbar häufiger oder seit einiger Zeit regelmäßig in diese Richtung laufen. Nun ist von vornherein klar: egal was kommt, das kann ja nix sein. Neue Person kennen gelernt? „Wird nix“ sagt das Gehirn. Neuen Job angeboten bekommen? „Passt nicht“ sagt das Gehirn. Wie bringen wir unser Gehirn wieder dazu, eben nicht diese „Abkürzung“ zu benutzen? Zum Beispiel durch die Erkenntnis, die solche eine Liste wie die da oben birgt.
Und warum dauert das so lange? Das möchte ich Ihnen an einem Beispiel erklären: Viele kennen das: auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder wohin auch immer gibt es dieses Rasenstück. Der eigentliche Weg führt drum herum, aber wir kürzen gerne ab. Ein Trampelpfad entsteht. Dabei ist es uns egal, dass die Wahrscheinlichkeit, in einen Hundehaufen zu treten sich mit dem Verlassen des Gehweges deutlich erhöht. Wir haben ihn trotzdem jahrelang genommen. Und wenn wir unsere Schuhe von den ekligen Hinterlassenschaften scheinbar monströser Hunde mit ungesunden Essgewohnheiten reinigen mussten, nur gedacht: „war ja klar, wie auch sonst“. Nun wollen wir in Zukunft vermeiden, weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit in jene Hundehaufen zu treten. Also beschließen wir, den Bürgersteig zu nehmen. Zuerst kostet es Mühe und macht keinen Spaß. Ab und an erwischen wir uns an schlechten Tagen – es regnet, wir sind verspätet oder im Tran – immer mal wieder dabei, besagten Trampelpfad zu benutzen – und zwar erst dann, wenn wir schon in einer der „Tretminen“ stehen. Aber langsam, ganz langsam, wächst das Gras wieder und nach einem halben Jahr ist der Trampelpfad kaum noch zu sehen. Immer seltener merken wir zu spät, dass wir wieder „den alten Fehler“ begangen haben und plötzlich kommt der Tag, an dem wir genau in dem Moment, in dem wir die Stelle betreten, an dem der Pfad früher begann wissen, dass es nicht sinnvoll ist, hier zu gehen. Stutzen kurz, – schmunzeln idealerweise: „da isses wieder“ – und gehen auf dem eigentlichen Weg weiter. Und genau so ist es auch mit eingefahrenen Denk- und Handlungsweisen. Sie hatten lange Zeit, sich einzuschleifen. Nun dauert es etwas, sie wieder loszuwerden.
Geben Sie sich die Zeit, umzulernen! Und verzeihen Sie sich, wenn Sie an einem miesen Tag doch mal wieder in alte Gewohnheiten verfallen. Wichtig ist, dass Sie erkennen, was passiert! Um noch kurz bei unserem Beispiel zu bleiben: Natürlich treten wir ab und an auch auf dem Gehweg in Hundehaufen. Aber sonst würde das Beispiel ja auch nicht passen und ich müsste „traditionelle“ Ratgeber schreiben. Das Ziel ist ja nicht, sich in die andere Richtung zu betrügen und alles super zu finden. Das Ziel ist, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind: eine Option, zu etwas Großartigem, etwas Belanglosem, oder etwas völlig Mistigen zu werden. Sie wussten schon immer, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Warum sollte alles Mist sein, was im ersten Moment danach aussieht?
Ich verspreche hoch und heilig, mich nächstes mal wieder kürzer zu halten!
Ein sauschönes Wochenende wünscht
Dr. Phil
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Unser Kolumnist Dr. Phil ist auch bekannt als Autor Philipp S. Holstein und hat das Buch “Glücklich werden ohne Ratgeber. Ein Ratgeber” geschrieben.