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Zähneknirschen und das Urbedürfnis nach Sicherheit – Reden hilft

Foto: Lux Graves via Unsplash

Vier vorausschauende und verantwortungsvolle Coaches erkannten im Frühjahr 2020 den heranrollenden Seelenschmerz, den Corona in unser Leben spülte. Beherzt adressierten sie die beginnende Einsamkeit, den Verlust von sozialen Kontakten in der Isolation und stellten ein REDEANGEBOT auf die Beine. Aus den vier engagierten Menschen ist eine Initiative gewachsen, welche heute von mehr als 350 selbstlosen Coaches und Therapeut:innen mit Empathie getragen wird. REDEZEIT FÜR DICH steht heute für: Prävention – psychische Gesundheit und Gesprächsangebote für ALLE im Notfall.

Ein Beitrag von REDEZEIT Für DICH | Annett Lossack


Verziert auch dein Zahnputzglas eine durchsichtige Beißschiene oder hast du sie darin versteckt? Keine Ahnung, wie das fast jede:r Dritte von uns händelt. Laut den Krankenkassen kauen 20- bis 40-Jährige und bevorzugt Frauen auch nachts an ihren Problemen. So hadern sie auch unbewusst mit den vielfältigen Herausforderungen von Job und Familie, der Betreuung von Kindern und Angehörigen und den Auswirkungen von Pandemie und Krieg. Innere Anspannung ruiniert die Zähne. 

Bin ich sicher? Das entscheidet dein Nervensystem.

Deine Sicherheit beschäftigt unser autonomes Nervensystem jede Sekunde und das rund um die Uhr. Seine Sensoren und Wahrnehmungsfähigkeit (Neurozeption) prüfen ununterbrochen unseren körperlichen Zustand, unser Umfeld auf Gefahren und ob bekannte Signale (Trigger) uns früher in Angst und Stress versetzten. Diese Informationen werden laufend in Emotionen und Verhalten übersetzt. 

Kein Wunder also, dass bei all dem, was jeden Tag auf uns einprasselt, der Sympathikus als Teil des Nervensystems häufiger am Steuerboard sitzt, Atem und Herzschlag hochpeitscht und den vollen Stresshormoncocktail auskippt. Flüchtend knallen wir die Tür oder brüllen kämpfend unser Gegenüber an. Und manche knirschen dann auch mit den Zähnen. 

Im Ruhemodus von Atmung und Puls übernimmt der Gegenspieler, der Parasympathikus. Der Stoffwechsel rotiert und die Muskeln sind locker und wohlig entspannt und sicher.

Den Vagabunden ins Boot holen

Viel zu oft bleiben wir im Stressmodus buchstäblich hängen und schaffen es nicht in unseren persönlichen Sicherheitsbereich zu aktivieren. Die Regenerationsfähigkeit sinkt, Heilungsprozesse stagnieren oder wir werden sogar körperlich oder psychisch krank.

Ganz nach dem Vorbild eines Vagabunden verbindet der weitverzweigte Vagusnerv den Hirnstamm mit unserem Herzen, unserer Lunge, dem Magen und allen anderen Organen. Er ist stellt die beidseitig genutzten Schnellstraßen zwischen Kopf und Körper für sensorische und motorische Reize zur Verfügung und sorgt dafür, dass unsere Emotionen unser Verhalten stärker steuert als unser Verstand.

Der hintere (dorsale) Vagus-Strang ist der entwicklungsgeschichtlich ältere Teil des Vagussystems. Er ist aktiv, wenn wir angstgetrieben in die Schockstarre fallen, das Blut aus den Extremitäten in den Kopf schießt und uns der Atem stockt. Symptome wie Rückzug und Lethargie bei chronischen Stresszuständen, Depressionen, Traumata oder posttraumatische Belastungsstörungen gehen auch mit einem aktiven hinteren Vagusast einher.

Freiwillig, heilend und vor allem ohne Angst können wir diesen Nervenstrang ebenfalls aktivieren. Bei Meditationen erleben wir einen leeren Kopf und gleichmäßigen Herzschlag und wiegen uns in entspannterer, wohltuender Sicherheit.

Reden – ein Schritt, um sich sicherer zu fühlen und wohltuende Bindung zu erfahren

Wieder dreht sich das Gedankenkarussell immer schneller, der Fokus schrumpft und die Hoffnung schmilzt wie ein Eiswürfel. Immer wieder sausen die gleichen Worte durch den Kopf, mit ihnen die gleichen Schmerzen und der Frust. 

Schon die Sorgen laut auszusprechen, weckt den vorderen (ventralen) Vagusast aus dem Dornröschenschlaf und bringt über das Spüren vom eigenen Körper das Karussell zum Stehen.  Vermittelt der Gesprächspartner und Zuhörer Signale von Sicherheit, ermöglicht dies dem gestressten oder angsterfüllten Mitmenschen auf einen inneren Rückzug zu verzichten. Besonders interessiert den Vagusnerv die sicherheitsfördernde Information, die er über neuralen Pfaden zwischen dem Herzen und den Gesichtsmuskeln sowie im Innenohr übermittelt. Aus der Klangfarbe der Stimme gelingt es (auch am Telefon) entsprechende beruhigten Emotionen herauszuhören und Sicherheit aus der Gesichtsmimik und der Gestik des Kopfs zu lesen.  Dieses Wechselspiel aktiviert das soziale Engagement und ermöglicht eine Bindungsbildung. Studien belegen, dass empathisch kommunizierende Mediziner:innen Patient:innen nicht nur kognitiv, sondern auch über den Vagusnerv erreichen und so häufig eine schnellere Genesung erzielen. Tritt allerdings eine Gefahr auf, schaltet sich der Nerv ab, die Sicherheit ist verflogen. Der Neuropsychologe Stephan W. Porges erklärt diese Wechselwirkungen mit der von ihm entwickelten Polyvagal-Theorie.

Im Kopf werden beim Erzählen andere Gehirnregionen als beim Grübeln angeknipst, das erweiterte Netzwerk kommunizieren miteinander, der Blick wird wieder weiter. Über Jahrhunderte wurde Reden in vielen Kulturen über alle Altersstufen praktiziert. Heute ist die Wirksamkeit mithilfe umfangreicher Untersuchungen auch wissenschaftlich bewiesen. 

In den Coronajahren haben wir gelernt, dass Begegnungen im 2D-Format die Spiegelneuronen ebenso feuern lassen und eine wohltuende Interaktion auslösen. Wir sprechen mit dem Körper, lesen in Gesichtern und kleiden unsere Gedanken in Wörter. Die lange Tradition und den leichten Zugang zu einer veränderten Wahrnehmung haben wir ins Zentrum unseres Hilfsangebotes gestellt und geschulte Zuhörer vereint. Ausgebildete Coaches und Therapeuten hören nicht nur via Telefon, ZOOM oder FaceTime zu, sondern schenken ihre Aufmerksamkeit und vermitteln ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ein Gespräch ohne Ziel und ohne Druck ist der erste Schritt aus der emotionalen Isolation und hin zu verschiedenen Hilfsangeboten.

Während des Schreibens und passend zum Thema habe ich genussvoll ein Zitronenbonbon geluscht (natürlich zuckerfrei, wegen der Zähne) und so meinen ventralen Vagusast aktiviert. Da nur Säugetiere über einen ventralen Vagusnerv verfügen, erinnern wir uns unterbewusst auch an die beruhigten Erfahrungen und die Zweisamkeit während des Stillens oder Nuckelns an der Babyflasche. So finden wir noch mehr Sicherheit bei der gemeinsamen Nahrungsaufnahme, feiernd dies als ein soziales Ereignis, wo wir einander zu beruhigen und neue Bindungen aufbauen. Zeit also wieder einmal gemeinsam Essen zu gehen und die Geselligkeit zu genießen.

Ja und wenn es uns gelingt, die richtige Balance zwischen Spannung und Entspannung herzustellen, dann bleibt die Beißschiene auch im Becher.

Den Vagusnerv direkt ansprechen – eine Grundübung des Körpertherapeuten Stanley Rosenberg

Diese Übung ist einfach und dauert nur wenige Minuten. Je häufiger du sie durchführst, umso wirksamer ist sie.

  1. Lege dich bequem ausgestreckt auf den Rücken und verschränke die Finger hinter dem Kopf. Die Ellenbogen liegen entspannt neben dir. Spürst du die Knochen deiner Finger am Hinterkopf?
  2. Schaue, ohne den Kopf zu bewegen, nach rechts so weit zur Seite, wie es dir problemlos möglich ist. Halte deinen Blick so lange dort, bis du entweder seufzen, gähnen oder schlucken musst. Das dauert nicht länger als 30–60 Sekunden.
  3. Die Augen wandern wieder zur Mitte und lege eine kleine Pause ein.
  4. Nun wandern die Augen analog nach links.
  5. Fertig

Spüre kurz nach, hat sich etwas verändert? Geht die Atmung leichter? Da Augenmuskeln, Nerven und Vagusnerv alle direkt oder indirekt miteinander verbunden sind, kannst du durch diese einfache Bewegung der Augen gleich an mehreren Stellen im Körper eine Veränderung herbeiführen. 

Mit REDEZEIT FÜR DICH Kontakt aufnehmen, reden, sozial Zuversicht finden – So geht es

Wer Redebedarf hat, findet auf Virtual Support Talks eine:n Gesprächspartner:in mit passendem Schwerpunkt. Per E-Mail wird ein Termin vereinbart, meist gibt es noch am selben Tag eine Rückmeldung oder sogar direkt das Gespräch per Telefon oder Online-Meeting-Anbieter. Das Gespräch ist kostenlos, streng vertraulich und es werden keine Verpflichtungen eingegangen. Unser Angebot ist jedoch kein Ersatz für ein professionelles Coaching oder eine Therapie.

P.S. Ganz neu, wir sind jetzt auch im Hilfsangebot-Finder von Freunde fürs Leben e. V. Danke für das Vertrauen.

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