Ein gutes Leben – trotz bipolarer Erkrankung
Seit 25 Jahren lebt Nora Hille, glücklich verheiratet und Mutter von zwei Kindern, mit der Bipolaren Störung, die bei ihr erstmals im Alter von Anfang 20 ausbrach. Nach einem Jahr der Behandlung verdrängte sie die Diagnose für ein Jahrzehnt, das von vielen qualvollen Depressionen im Inneren trotz des Funktionierens im Äußeren geprägt war. Studienabschluss, Jobeinstieg, Liebe und Heirat – doch mit der Geburt des ersehnten Wunschkindes brach die Erkrankung erneut und heftig aus. Plötzlich stand alles auf dem Spiel. In diesem Beitrag berichtet Nora über ihr Leben mit einer bipolaren Störung.
Wenn Licht die Finsternis besiegt: Über ein gutes Leben mit Familie und Partnerschaft – trotz bipolarer Erkrankung
von Nora Hille
Die Diagnose „Bipolar“ wurde bei mir erstmals Anfang 20 gestellt. Damals wollte ich die Erkrankung nicht an mich ranlassen, sondern sah sie als einmalige Lebenskrise an und verdrängte die Diagnose für ein Jahrzehnt, das durch viele unbehandelte Depressionen inklusive Suizidgedanken sehr leidvoll war. Im Alter von 32 wurde unser Sohn geboren. Ich erlebte die Geburt mit Notkaiserschnitt als traumatisch, konnte in den Tagen danach nicht mehr schlafen, war völlig verzweifelt, erkannte mich selbst nicht wieder. Nach zwei Wochen ging nichts mehr. Mein Mann brachte mich in eine psychiatrische Klinik. Dort wurde die Diagnose Bipolar gestellt, akut manisch-dysphorisch (also beschleunigt-verzweifelt), die ich diesmal sofort akzeptierte, wissend um meine Verantwortung für unseren Sohn.
Obwohl es gut 4 Millionen Betroffene in Deutschland gibt, ist die Bipolare Störung immer noch recht unbekannt. Das führt dazu, dass sie in der Regel viel zu spät (im Schnitt nach etwa 10 Jahren) diagnostiziert und oft zunächst mit einer unipolaren Depression verwechselt wird, was viel Leid produzieren kann. Das Krankheitsbild ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Betroffene erleben extreme emotionale Zustände, die weit über die Norm hinausgehen. Sie werden zwischen den beiden Polen Depression und Manie hin- und hergeworfen, können auch Phasen der Hypomanie oder gemischte Episoden erleiden, dazwischen für längere Zeit stabil sein oder direkt in den nächsten Schub gleiten. Was kaum bekannt ist: Frauen haben bei der Geburt eines Kindes das höchste Lebenszeitrisiko, erstmals an einer Bipolaren Störung zu erkranken oder, sofern diese bereits besteht, einen Rückfall zu erleiden.
Durch den medizinischen Befund nach der Geburt unseres Sohnes sowie durch ärztliche und therapeutische Begleitung habe ich gelernt, mit meiner Erkrankung zu leben. Habe gelernt, unseren Kindern und meinem Mann neben Liebe auch ein Höchstmaß an Normalität zu geben. Doch es kostet mich Kraft, denn die Erkrankung ist bei mir deutlich ausgeprägt und täglich spürbar. Mittlerweile bin ich verrentet, habe einen Grad der Behinderung von 50 und den Pflegegrad 2. Und trotzdem liebe ich mein Leben und würde es mit niemandem tauschen wollen. Denn ich habe gelernt, mit der bipolaren Erkrankung umzugehen und kann heute sagen: Ein gelingendes, gutes Leben ist auch mit psychischer Erkrankung möglich. Zu meinen wichtigsten Kraftquellen zählen (neben Therapie und stabilisierenden Medikamenten) meine Lieblingsmenschen, Schreiben, Malen, Kreativität und mein Glaube an Gott.
Trotzdem gehören Depressionen bis hin zur tiefsten Finsternis – wie auch die anderen extremen Gefühlszustände innerhalb einer bipolaren Erkrankung – immer wieder zu meinem Leben, bis hin zu den mittlerweile zum Glück seltener gewordenen Suizidgedanken. Manchmal ausgelöst durch extremen Stress und bestimmte Ereignisse, manchmal eine Folge der zu lang andauernden Hypomanien, die irgendwann Körper und Seele dermaßen erschöpfen, dass sich eine Depression anschließt. Mittlerweile ist mir aber sehr bewusst, auch aufgrund der langen Zeit, die ich schon mit meiner Erkrankung lebe, dass es selbst bei den schrecklichsten inneren Zuständen immer ein „Danach“ gegeben hat. Das manchmal nicht mehr möglich ist als Atmen. Ein, aus. Und wieder von vorn, so lange, bis es vorbei ist. Meine Ärzt:innen und meinen Therapeuten habe ich dabei immer als kompetente und stützende Ansprechpartner:innen erleben dürfen. Und meinen Mann an meiner Seite als meinen besten Freund.
Niemals verspürte ich das Bedürfnis, öffentlich über meine bipolare Erkrankung zu sprechen oder zu schreiben, im Gegenteil: Ich hatte Angst vor Stigmatisierung und vor einer möglichen Benachteiligung meiner Kinder. Erst eine berührende Begegnung, bei der ich über meinen Schatten sprang, zeigte mir, wieviel Mut meine Geschichte anderen Betroffenen, ihren Angehörigen und Freund:innen machen kann. Deswegen habe ich meine Erfahrungen im Umgang mit meiner Bipolaren Störung in den letzten vier Jahren zu einem ermutigenden erzählenden Sachbuch verarbeitet. Damit möchte ich der Gesellschaft etwas zurückgeben, über die Bipolare Störung aufklären und mich für die Entstigmatisierung psychisch erkrankter Menschen einsetzen. Was ich nicht ahnte, als ich vor vier Jahren mit dem Schreiben begann: Wie sehr das Buch und meine Entscheidung, damit meine Erkrankung öffentlich zu machen, mein Leben noch weiter zum Positiven verändern würde. Denn parallel zum täglichen Schreiben nahm ich an Literaturwettbewerben teil, veröffentlichte in Anthologien (Sammlungen ausgewählter literarischer Werke) und verschiedenen (Online)-Magazinen Artikel und Gedichte. Startete vor anderthalb Jahren meinen Instagram- und Facebook-Account sowie eine regelmäßige Kolumne zur mentalen Gesundheit beim Online-Magazin femalExperts.com. Ich lernte, auch unterstützt durch ein gleichnamiges Seminar, in Würde zu mir zu stehen.
Mein Mutmachbuch ist im Verlag Palomaa Publishing erschienen und heißt „Wenn Licht die Finsternis besiegt. Mit bipolarer Erkrankung Leben, Familie und Partnerschaft positiv gestalten“. Denn wenn ich eins im Leben mit meiner psychischen Erkrankung lernen durfte, dann das: Ich trage mehr Licht als Schatten in mir. Viel mehr.