Ein Tag, der ein ganzes Leben veränderte.
Mein Name ist Uwe Hauck, ich bin Buchautor und Blogger und lebe mit meiner Familie in Schwäbisch Hall. Man könnte sagen, ich führte ein ganz normales Mittelstandsleben. Bis zu diesem einen alles verändernden Tag.
Der 5. Februar 2015 war der Tag, der mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hat. Bedingt durch Missverständnisse auf der Arbeit und eine Jahrzehnte nicht erkannte wiederkehrende schwere Depression versuchte ich mir im Affekt das Leben zu nehmen.
Das alleine niederzuschreiben ist rückblickend immer noch surreal für mich. Schon am nächsten Tag, als ich im Bett der Notaufnahme unseres örtlichen Krankenhauses wieder erwachte, konnte ich nicht verstehen, wie das alles passieren konnte. Es brauchte letztlich ein halbes Jahr Kliniken und ein Jahr des krank geschrieben seins, um mich wieder mit mir ins Reine zu bekommen und die dunklen Gedanken zu verstehen.
Zurück ins Leben
Ich habe mich jetzt wieder für das Leben entschieden, aber dafür brauchte es einen ganz wichtigen Schritt: Akzeptanz. Es bedurfte vier Wochen in der Klinik, bis ich überhaupt akzeptierte, eine Krankheit, eine Depression zu haben. Zuvor war immer mein Umfeld verantwortlich, müsste sich nur ändern, dann ginge alles besser. Mag sein, dass das sogar stimmt, aber die eigentliche Veränderung, so lernte ich mit der Zeit, war es, bei mir selbst anzusetzen. Man hatte mir schon vor dem Zwischenfall eine Depression diagnostiziert, was ich aber lediglich als Erklärung für die Krankenkasse gelten ließ. Ich dachte, ich wäre nun mal ein trauriger Mensch, das wäre Teil meines Charakters. Ich hätte nicht falscher damit liegen können. Erst, als ich mir ehrlich die Krankheit eingestand, war ich willens, an mir zu arbeiten, unterstützt durch Therapeuten und Ärzte. Dabei war der Suizidversuch der nötige harte Einschnitt, um mich mit meiner Krankheit direkt zu konfrontieren. Zumindest sehe ich es rückblickend als genau das, ein Notsignal.
Offener Umgang kann heilen
Und als ich die Ehrlichkeit nach außen trug, als ich auch meinem Umfeld meine Krankheit offenbarte, wurde auch für meine Familie und meine Freunde der Zwischenfall verständlicher. Nicht nachvollziehbar, das wäre wahrlich zu viel verlangt. Aber sie konnten es einordnen. Für mich war es ein Befreiungsschlag, offen über meine Krankheit zu sprechen. Jahrelang hatte ich mir Masken aufgesetzt, so lange, bis ich schließlich mein wahres ich vor lauter Masken nicht mehr fand. Auch das trug zu dem Absturz bei. Es war ungeheuer erleichternd, plötzlich keine Masken mehr aufzusetzen, plötzlich man selbst zu sein. Sicher, das kostete mich einige Freunde, aber das waren toxische Freunde, die nur für mich da waren, wenn sie etwas von mir brauchten.
Aus diesem offenen Umgang mit meiner Depression haben sich für mich Chancen und Möglichkeiten eröffnet, die ich mir zuvor nicht mal im Traum hätte vorstellen können. Dass daraus ein Buch entstehen würde, das erfolgreicher werden sollte, als ich mir das hätte jemals ausmalen können, dass mich meine Depression und mein Suizidversuch zum Aktivisten für Entstigmatisierung werden lassen würden, ich hätte jeden für verrückt erklärt, der mir das vorausgesagt hätte. Das aber vor allem, weil meine Ängste, mein Bedürfnis nach Kontrolle viel zu groß gewesen sind, weil ich viel zu viel Angst vor Veränderung gehabt habe. Durch den sehr öffentlichen Suizidversuch blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu öffnen, als zu versuchen, Verständnis für die Krankheit Depression, für meine Krankheit zu erreichen. Mein ältester Sohn hat es sehr radikal ausgedrückt, als er zu meiner Frau bei einem gemeinsamen Spaziergang sagte: „Eigentlich war der Suizidversuch die Wende zum Positiven, denn ab da war alles klar, waren die Grenzen gesteckt und wir wussten, was mit Papa los ist.“
Wir brauchen einen anderen Diskurs
Das hat mir deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass wir eben nicht nur über psychische Krankheiten offen reden sondern auch, dass es einen völlig anderen Diskurs über Suizidversuche und Suizide braucht. Denn bei aller berechtigter Angst vor dem sogenannten „Werther-Effekt“, also dem Nachahmereffekt nach einem Suizidversuch insbesondere von Prominenten existiert eben auch der Papageno Effekt, angelehnt an die Figur aus der Zauberflöte, die sich das Leben nehmen will, dann aber gerettet wird und erlebt, wie sich ihr Leben zum Guten wendet. Solange ein so immenses Stigma auf Suizidversuchen liegt, so lange werden Betroffene die Gedanken verheimlichen, leider viel zu oft bis es zu spät ist. Ja, ein Suizidversuch ist nichts bewundernswertes, nichts, was irgendetwas besser macht. Aber wenn wir darüber schweigen, lassen mir gerade diejenigen alleine, die unsere Hilfe brauchen. So lange wir Menschen in solchen extremen Notsituationen nicht wahrnehmen, verwehren wir ihnen genau die Hilfe, die so dringend nötig wäre.
Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam als Betroffene, als Angehörige und als Fachleute darüber sprechen, diskutieren, ja auch streiten, wie ein besserer Umgang mit psychischen Krankheiten UND mit suizidalen Menschen oder vollendeten Suiziden möglich sein kann. Darüber zu schweigen hilft nicht, sondern verschlimmert das Ganze noch.
Wenn ich auf Lesungen über meinen Suizidversuch spreche, bin ich mir der Trigger durchaus bewusst, die damit einhergehen. Aber am Ende jedes Vortrags, jeder Lesung spüre ich auch, dass es dringend nötig ist, offen damit umzugehen. Um Angehörigen, die einen Menschen durch einen Suizid verloren haben, etwas von ihrer Wut, ihren Schuldgefühlen, ihrer Trauer zu nehmen. Um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen, Hilfe zu suchen.
Ich bin lernfähig (geworden)
Als ich aufhörte, meinem Umfeld und letztlich auch mir meine Krankheit zu verheimlichen, konnte ich endlich Hilfe annehmen und mein Umfeld konnte besser nachvollziehen, warum ich mich manches Mal abweisend, verschlossen verhalten habe.
Darüber reden hilft, es ist sogar elementar. Lasst uns endlich mit dem Schweigen aufhören. Ich bin noch lange nicht frei von Suizidgedanken. Aber heute sind sie für mich das nötige Warnsignal, wieder besser für mich zu sorgen und die Depression nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Früher raste ich auf eine Wand zu, an der ich zerschellen würde und der Suizid war der Versuch, die Schmerzen nicht mehr zu spüren. Heute hat die Wand eine kleine Tür und ich habe Methoden, Skills entwickelt, diesen Notausgang zu treffen. Seitdem ich offen mit meiner Krankheit, mit meiner Geschichte umgehe, fühle ich mich sicher, weiß, dass ich auch dunkle Phasen durchstehen kann. Weil ich endlich wieder ich selbst bin, kein Sammelsurium von Masken, dass mein eigentliches ich unter sich begräbt.