Von verkrampften Menschen im Stuhlkreis keine Spur – Wie Selbsthilfegruppen Euch entlasten können
Larissa, 28 Jahre, ist Sozialarbeiterin und hat vor etwas mehr als 10 Jahren ihre ersten beruflichen Schritte in den klinischen, psychiatrischen Bereich gemacht: Angefangen von ehrenamtlichen Tätigkeiten in sozialpsychiatrischen Zentren, über ein FSJ in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, Aushilfstätigkeiten auf geschlossen Abteilungen von Psychiatrien, über Praktika in Wohnheimen für Menschen mit Abhängigkeiten, bis hin zum Sozialdienst in einer großen Psychiatrie, wo sie mit Menschen mit psychischen Erkrankungen arbeiten durfte.
Verkrampfte Menschen in Stuhlkreisen
Was sind wohl die erste Gedanken und Assoziationen, die Menschen durch den Kopf gehen, wenn sie an Selbsthilfegruppen denken? Was waren meine anfänglichen Vorstellungen von diesen? Verkrampfte Menschen in Stuhlkreisen, welche von einem peinlichen Schweigen umhüllt sind? Oder doch eine angenehme Atmosphäre mit gutem, intensivem und heilendem Austausch? Was wissen wir eigentlich wirklich über Strukturen, Abläufe und die Organisation von diesen Treffen? Besonders wenn wir im Vorfeld nie Berührungspunkte zu diesen hatten?
Ich durfte die Erfahrung machen, zu erkennen, dass Selbsthilfegruppen viel mehr darstellen, als meine sehr eingeschränkten, von Vorurteilen geprägte Vorstellung zu bieten hatten oder was ich aus Filmen kannte und ich wurde in jeglicher Hinsicht positiv überrascht.
Wie ich das Konzept der Selbsthilfe kennenlernte
Bei all meinen beruflichen Tätigkeiten in den unterschiedlichsten Settings und mit den verschiedensten Klienten sind mir zwei Themen immer wieder begegnet: Depressionen und Selbsthilfe. Mal tauchten sie unabhängig voneinander auf, aber meistens waren sie eng miteinander verknüpft.
Für mich sind diese beiden Themen kaum mehr voneinander zu trennen. Während meines Studiums hatte ich jedoch nie die Chance mich näher mit dem Thema Selbsthilfe, beziehungsweise Selbsthilfegruppen zu beschäftigen oder in diesem Bereich aktiv tätig zu werden. In den Vorlesungen und Skripten wurde es meistens nur kurz angeschnitten.
Mein Interesse war jedoch durch den Kontakt mit einigen Menschen über dieses Thema im beruflichen als auch im privaten Umfeld geweckt, sodass ich mich dazu entschied, mich im Zuge meiner Bachelorarbeit näher damit zu befassen. Ich konnte in diesem Rahmen verschiedensten Gruppen beiwohnen und habe mich mit vielen Personen darüber unterhalten, was sie genau aus diesen Treffen ziehen und inwiefern sie helfen und unterstützen können.
Ich war selbst sehr positiv überrascht, wie viele verschiedene Formen der Selbsthilfe existieren, wie sie für wie viele zum festen Bestandteil des Alltags gehören (neben den Depressionen) und besonders auch über das Ausmaß von herzhaftem und ausgelassenem Lachen während der Treffen und darüber, wie sehr man ins Schwitzen geraten kann, wenn plötzlich aus dem erwarteten Sitzkreis ein gemeinsamer Jogging-Ausflug wird.
Wie Selbsthilfegruppen etwas bewegen können
In meiner späteren Tätigkeit als Sozialarbeiterin, bestand ein Teil meiner Aufgabe darin, die Entlassung von Patient*innen aus der Psychiatrischen Klinik vorzubereiten. Wenn das Interesse und die Motivation vorhanden war, stellte ich unter anderem sicher, dass der Kontakt zu passenden Selbsthilfeformen hergestellt wurde. Besonders im direkten Anschluss an eine stationäre oder teilstationäre Behandlung halte ich den Beitritt in eine Selbsthilfegruppe für sehr sinnvoll und bin davon überzeugt, dass sie als ausgesprochen sanfte und zugleich sehr stabile Auffangnetze fungieren können.
Diese Gruppen ersetzen natürlich keine Psychotherapie – oder je nach Ausmaß der Erkrankung einen stationären Aufenthalt – aber sie können definitiv zur Stabilisierung, zur Steigerung des Wohlbehagens und Genesung beitragen. Ich denke, es kann eine große Entlastung darstellen, das Gefühl zu haben mit einer gewissen Problematik oder im Falle von Depressionen, einer Erkrankung.
Auch ich kenne das Gefühl, dass ich mich verstandener fühle oder ich mich einer Person besser zu ein gewissen Themen öffnen kann, wenn ich weiß, dass diese vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Außerdem kann das Gefühl von Problemlösen in einer Gemeinschaft viel Mut und Selbstvertrauen schaffen. Sich gegenseitig unterstützen, trösten, beratschlagen, zuhören und stärken, sowie soziale Herausforderungen, Abhängigkeiten, die Sorge über Angehörige oder Freunde, körperliche und psychische Erkrankungen zu bewältigen und zu teilen, darum geht es in diesen Gruppen.
Gegen die Einsamkeit
Mit dem Thema Depression gehen häufig auch Einsamkeit, eine fehlende Alltags- bzw. aktive Freizeitgestaltung, das Fehlen von sozialen Kontakten oder das Gefühl von „Ich bin mit meinem Problem alleine!“ einher. Ein wöchentliches Treffen kann dem entgegenwirken.
Es können sich Freundschaften bilden und ein soziales Netzwerk kann aufgebaut werden, welches dem Gefühl von Einsamkeit positiv entgegen wirken kann. Und gemeinsame Aktivitäten den häufig leeren oder gefühlt sinnfreien Alltag füllen und beleben.
Neben diesen stationären Selbsthilfegruppen, gibt es auch die bekannteren und verbreiteteren Gesprächsselbsthilfegruppen. Hier lebt man nicht zusammen, sondern trifft sich in regelmäßigen Abständen zum gemeinsamen Austausch. Auch hier gibt es einen starken Fokus auf gemeinsame Freizeitaktivitäten und man kann oftmals auch zwischen verschieden Altersgruppen wählen.
Zugeschaut, abgeguckt, umgesetzt
Beeindruckend war für mich auch zu beobachten, wie ausgezeichnet unter anderem das Prinzip des Beobachtungs- und Modelllernens hier zum Vorschein kommt. Positive Verhaltensmuster können sich in der Gruppe abgeschaut werden und Menschen zum Vorbild genommen werden.
So zeigen Personen, welche schon lange in einer Selbsthilfegruppe sind, dass es möglich ist regelmäßig zu erscheinen und die Kraft und Energie hierfür aufzutreiben. Sie können so zum Vorbild für neuere Mitglieder werden.
Die einzelnen Teilnehmenden können in der Gruppe Selbsterkenntnisse erlangen und Gruppenmitglieder können sich gegenseitig neue Lebensinhalte vermitteln und motivieren. Außerdem zählt das Prinzip des Schutzraumes. Man kann also offen reden, sich in einer Art und Weise öffnen wie man es vielleicht vor Angehörigen oder Freunden nicht tun würde.
Da man unter Gleichgesinnten ist, haben viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, von einem Gefühl berichtet, sich nicht verstellen oder sich anpassen zu müssen. Man erhält Akzeptanz und Verständnis. Außerdem ist die Chance hoch, dass durch das Teilen von schon kleinen Erfolgserlebnissen im Alltag das Selbstwertgefühl erhöht werden kann.
Bereicherung und Entlastung erfahren – oder zumindest einen Kaffee abstauben
Mir ist bewusst, dass Menschen, welche an Depressionen erkrankt sind, häufig der Antrieb fehlt, neue Dinge anzugehen. Und verständlicherweise ist der erste Schritt in eine völlig unbekannte Gruppe auch mit Angst und Aufregung verbunden. Doch ich habe tatsächlich nicht ein einziges Mal von Berichten über ein schwieriges oder kühles „Willkommen“ gehört.
Jede einzelne Person in der Selbsthilfegruppe ist dort irgendwann zum ersten Mal durch die Tür gegangen, stellte sich vor und weiß, wie viel Motivation und Energie dies kosten kann. Alle Teilnehmenden kennen das Gefühl, können es tatsächlich nachempfinden und verhalten sich unter anderem aus diesem Grund besonders offen und warmherzig gegenüber neuen Interessenten.
Ich hoffe sehr, dass mein Beitrag vielleicht die ein oder andere Person ermutigt, in die Welt der Selbsthilfegruppen hinein zu schnuppern. Vielleicht gibt es ja eine vertraute Person, die zu Beginn einmal mitkommen kann, oder bei einem Anruf im Vorfeld unterstützen kann um sich Informationen einzuholen. Ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass es eine große Bereicherung und Entlastung, beziehungsweise Unterstützung darstellen kann!
Wie man wahrscheinlich leicht erkennen kann, bin ich persönlich ein großer Fan von Selbsthilfegruppen und der festen Überzeugung, dass es zumindest einen Versuch auf jeden Fall wert ist. Und wenn man merkt, dass es gar nicht zu einem passt, gibt es meistens zumindest Kaffee umsonst.
Informieren könnt Ihr Euch auf Nakos – die Nationale Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen bietet eine Übersicht zu deutschlandweiten Angeboten.