Gemeinsam und mutig – Offenheit fördern.
Mut fördern e.V. ist ein Verein, der verschiedene Angebote zur Unterstützung zur Selbsthilfe anbietet. Eines davon ist die Mut-Tour, die jetzt im Juni gestartet ist und bei der sich Teilnehmer:innen mit und ohne Depressionserfahrung durch Deutschland bewegen, um Aufmerksamkeit auf die Themen Depression und mentale Gesundheit zu lenken. Hier erzählt Laura von Mut fördern von ihrer Sicht auf Selbsthilfe und inwiefern die Mut-Tour ein Teil davon ist.
Was ist eigentlich Selbsthilfe?
Zu Beginn dieses Beitrags möchte ich eine kleine Übung vorschlagen: Lehnt euch zurück, schließt die Augen und denkt an folgendes Wort: Selbsthilfe – Welches Bild kommt euch als erstes in den Sinn? Denkt ihr dabei an eine Tätigkeit oder viel eher an ein besonderes Gefühl? Verbindet ihr das Wort mit etwas, das ihr ganz alleine für euch macht, oder ist es immer auch an andere Personen gebunden, mit denen ihr den Austausch sucht?
Als wir bei uns im Team von Mut fördern e.V. selbst diese Übung ausprobiert haben, waren wir ziemlich überrascht. Bei den meisten von uns war die erste Assoziation tatsächlich der obligatorische Stuhlkreis einer Selbsthilfegruppe. Aber auch uns fiel auf den zweiten Gedanken direkt etwas ein, was dieses sich selbst helfen auch unabhängig der Kollektivität einer Selbsthilfegruppe bedeuten kann. So stand beispielsweise bei unserem Mitglied Nina eine ganz
individuelle und persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Thematik am Anfang ihres Selbsthilfeweges.
Die Worte anderer benutzen um zu den eigenen Gefühle Kontakt aufzunehmen und die Gedanken neu zu ordnen.
“Ca. 70% ist meine eigene Selbsthilfearbeit” beschreibt es Nina. “Allein im eigenen Raum, den ich mir immer wieder schaffe, entwickelte es sich bei mir aber dann auch schnell dahin, dass ich mir dann auch noch andere dazu holen wollte. Durch die Auseinandersetzung mit mir selbst und den Grenzen der anderen, wachse ich selbst.”
Darüber hinaus hat Nina sich auch über Bücher, Podcasts und spezielle Blogs Anstöße geholt, die ihr bei der Entscheidung, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, geholfen haben. Dies war für Nina wichtig, um sich auch die eigene Handlungsfähigkeit wieder bewusster zu machen – etwas, das wir vor allem in Krisensituationen nicht selten aus den Augen verlieren. Nina beschreibt diesen Prozess anhand der Erzählung einer eigenen Grenzerfahrung: “Ich merkte einfach, ich komme da nicht weiter und kann mir alleine nicht helfen, deshalb bin ich auch auf den Austausch mit anderen angewiesen.”
Hier war es für Nina ab einem gewissen Zeitpunkt ein Anliegen, sich auch außerhalb des eigenen Freundeskreises auszutauschen und ganz gezielt die Auseinandersetzung mit Personen zu suchen, die ähnliches wie sie selbst erleben bzw. erlebt haben. Dieses kollektive Erleben ist demnach auch für die ganz persönliche Entwicklung essentiell, da es einen Unterschied macht, ob eine Person lediglich in der Lage ist, Anteil zu nehmen oder die beschriebenen
Gefühle auch direkt nachvollziehen kann. Denn auch im Rahmen einer Therapie kann eine solch spezifische Anteilnahme nicht geleistet werden. Dennoch ist selbstverständlich auch die therapeutische Betreuung durch beruflich Helfende ein zentraler Punkt auf dem Weg zur Selbsthilfe. Denn “durch das Wachsen während einer Therapie, wächst im besten Falle auch
das Bewusstsein dafür, was Selbsthilfe für mich ganz persönlich bedeuten kann”, beschreibt es Nina.
Wichtig ist es, in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass kein Selbsthilfeangebot als Ersatz für eine Therapie gesehen werden darf. Dennoch stellt es oft eine wichtige und zusätzliche Unterstützung dar, kann das eigene Gefühl der Selbstwirksamkeit bei der betroffenen Person verstärken und öffnet so Räume, die in einem klassischen Therapiesetting verschlossen bleiben.
Ich muss mich nicht wie ein Alien fühlen!
Es macht einen Unterschied, in welchem Raum wir sprechen und wo wir uns Hilfe holen. Nina beschreibt es wie folgt: “Nicht selten habe ich mich mit meinen Problemen wie ein Alien gefühlt.” Als sie dann zum ersten Mal in den Rahmen einer Selbsthilfegruppe eingebunden war, hat sich das bei ihr stark verändert. Auch wenn sie rein rational durchaus wusste, dass es auch andere Personen gibt, die von ähnlichen Dingen wie sie betroffen sind, war es ein
komplett anderes Erleben, dies nicht lediglich zu wissen, sondern diesen geteilten Erlebnisraum der anderen Personen auch fühlen zu können. Durch den offenen Austausch auf Augenhöhe konnte sich dieser ganz anders spürbar machen lassen. Das hat Nina persönlich sehr geholfen und sie auch dazu ermutigt, weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen: “Ich habe gemerkt, dass ich mir selbst Hilfe holen kann.” Die Erfahrung sich jemandem
anzuvertrauen muss demnach eben nicht bedeuten fremd bestimmt zu sein. Eine Sorge, die viele oftmals davon abhält, sich Hilfe zu suchen. Einmal mehr wird hier auch der Unterschied zwischen Verstehen und Verständnis haben deutlich.
Das wurde Nina auch durch die Teilnahme an der Mut-Tour bewusst.
Das sich Öffnen ergibt sich aus dem gemeinsamen Erlebnis heraus. “Die Mut-Tour stellt für mich ein ganz besonderes Angebot der Selbsthilfe dar.” Hier kann sich Nina durch das gemeinsame Erlebnis mit den anderen Beteiligten unverkrampfter öffnen: “Wir erfahren ein gemeinsames Abenteuer, wachsen auf ganz besondere Weise zusammen und es stellt sich eine spezielle Nähe zwischen uns ein.” Zusätzlich gibt es bei der Mut-Tour aber auch feste Elemente, die aus den klassischen Selbsthilfegruppen entliehen sind: “Während einer Etappe nehmen wir uns täglich Zeit für unseren WuV (Wir um Vier).” – Eine klassische Befindlichkeitsrunde, in der jede Person den Raum bekommt, sich selbst mitzuteilen, ohne unterbrochen zu werden.