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Schon davon gehört? Judith über „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl

Foto: Judith Beyer

In unserer Reihe „Schon davon gehört?“ teilen wir Bücher, Musik, Filme oder Serien, die uns persönlich berühren und von denen wir glauben, dass mehr Menschen sie kennen sollten, weil sie psychische Erkrankungen und mentale struggles greifbarer und verständlicher machen können.

TW Suizid, Esstörung

Der Roman „Die Wut, die bleibt“ erzählt die Geschichten von zwei Frauen, die einen extremen Verlust durchleben und in den Strukturen des Patriarchats zumindest teilweise Antworten auf ihre zahlreichen Fragen finden.

“Sarah hat das all die Jahre gut gefunden. Hat gedacht: Meine Freundin, die jammert nicht. Sie ist erschöpft, ja, das ist ganz normal, das geht vorbei, wenigstens hat sie ihren Humor nicht verloren und sich selbst. Doch während sie Leon beschrieben hat, dass die Suppennudeln am Boden sich nicht fassen ließen, dass Lucius nicht einschlafen wollte und sich in ein langgezogenes Weinen hineingesteigert hat, hat sie diesem rauen, rotzigen Lachen von Helene nachgespürt und etwas Neues darin gefunden. Ein Tabu.”

Die Familie wird in ihren Grundfesten erschüttert, als eine Mutter Suizid begeht. Damit beginnt die Geschichte. Sarah und Lola sind die Protagonistinnen in Mareike Fallwickls Buch, die jeweils auf ihre ganz eigene Art mit dem Tod von Helene, Lolas Mutter und Sarahs bester Freundin, umgehen. Sie durchlaufen verschiedene Phasen der Trauer, von Unverständnis, über Selbst- und  Fremdbeschuldigungen bis hin zur Wut.

Besonders Lola findet in der Wut ihr neues Zuhause. Sie war bereits Feministin, doch nun erkennt sie immer mehr die Strukturen der Ungerechtigkeiten, unter denen sie leidet, unter denen auch ihre Mutter litt. Dagegen zu kämpfen, wird ihr Ventil. Währenddessen gibt sich Sarah Helenes Familie hin und versucht, insbesondere für die beiden kleinen Söhne, die Lücke zumindest ansatzweise zu schließen. Dabei stößt sie an zahlreiche Grenzen – zuallererst an ihre eigenen, aber auch die des Systems, in dem sie alle, in dem wir alle leben. Sie erfährt am eigenen Leib die Umstände, in denen ihre beste Freundin Tag um Tag verbrachte und erkennt, wie viel von ihrem Humor ein Überspielen von Stress, Hilflosigkeit und Verzweiflung gewesen sein muss.

Das Buch behandelt das Thema Suizid und die Folgen, die solch ein Tod für Angehörige haben kann, auf eine explizite Art und Weise. Beim Lesen kommt das Gefühl auf, sehr nah an dem Erleben und den Kämpfen von Sarah und Lola zu sein, was es teils schmerzhaft und emotional macht. Die Geschichte wirft ein Schlaglicht auf einen Ort, der oftmals unbesprochen und damit ungesehen bleibt – die familiären vier Wände und die Arbeiten, die an diesem Ort stattfinden. Sie erzählt zugleich von den Auswirkungen, die das Wortlose haben kann. Es wird deutlich, welche Selbstverständlichkeiten nicht selbstverständlich sein dürfen, wie wichtig es ist, die Grenzen voneinander zu achten und dass wir ab und zu fragen sollten: Wie geht’s dir wirklich?

Mareike Fallwickl gelingt mit „Die Wut, die bleibt“ eine relativ gegenwärtige Aufnahme unserer Gesellschaft – Care-Arbeit während der Corona-Pandemie wird zum Beispiel als Problemfeld ausgemacht. Dabei schafft sie es, den Schmerz der Mutter Helene wie auch das Leid der Hinterbliebenen, ihrer ältesten Tochter und ihrer besten Freundin abzubilden und gleichzeitig die Ebene der Ungerechtigkeiten in patriarchalen Strukturen zu beschreiben, die implizit immer wieder als Teil der Gründe für den Suizid angedeutet werden.

Das Buch ist lesenswert für alle, die sich mit der Trauer, der Sprachlosigkeit und den Wunden auseinandersetzen wollen, die ein Suizid bei den Angehörigen hinterlässt. Lohnend ist es außerdem, um sich die bis heute andauernde Wirkmacht des Patriarchats auf Einzelschicksale vor Augen zu führen.

Die Wut, die bleibt | Mareike Fallwickl | 2023 | 384 Seiten | Rowohlt

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