Studie: Arbeitslosigkeit kann zu Suizid führen
Dass Arbeitslosigkeit für die meisten Menschen kein Zuckerschlecken in der sozialen Hängematte bedeutet, ist keine leere Phrase. Ganz im Gegenteil: Arbeitslose sind stark belastet – stärker als bislang angenommen. Schweizer Forscher konnten nun in einer weltweiten Studie aufdecken: Rund ein Fünftel der untersuchten Suizide stehen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit. Insgesamt sind das 45.000 von 230.000 Selbsttötungen – eine Zahl, die wachrütteln sollte.
Wie Studien belegen steht Arbeit in unserer Gesellschaft immer noch im Zentrum unseres Lebens. Nicht nur, weil sie Geld bringt: sie stiftet Sinn, Identität und gesellschaftliche Anerkennung. Demnach geistern in den Köpfen der Allgemeinbevölkerung noch immer zahllose Vorurteile gegenüber Menschen herum, die keinen Job haben. Wer arbeitslos ist, wird angefeindet und zum Sozialschmarotzer erklärt. Insgeheim denken viele Menschen noch: Arbeitslose müssen zwar den Gürtel etwas enger schnallen – ansonsten führen sie doch aber ein schönes Leben und können morgens wenigstens gemütlich ausschlafen.
Gefahr für Leib und Leben
Weit gefehlt! Fakt ist nämlich: Arbeitslosigkeit stellt eine enorme Belastung für die Psyche und eine Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen dar. Wer seine Arbeit verliert, dem geht es nicht nur finanziell schlechter – er hat auch nichts mehr zu erzählen und verliert allmählich das Vertrauen in die eigene Person und in die Gesellschaft. Man könnte sagen: Endstation Sinnkrise – die schlimmstenfalls im Suizid endet.
Doch wie oft passiert das? Schweizer Forscher wollten es genauer wissen und nahmen öffentliche Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) unter die Lupe. Analysiert wurden die Jahre 2000 bis 2011 – ein Zeitraum, der sowohl wirtschaftlich stabile als auch instabile Phasen umfasst. Insgesamt wurden hierbei vier verschiedene Weltregionen, bestehend aus insgesamt 63 Ländern, herangezogen.
Die Studie wurde im Medizinjournal „Lancet Psychiatry“ veröffentlicht.
Jeder 5. Suizid wegen Arbeitslosigkeit
Das Ergebnis war verblüffend: Es zeigte sich, dass sich pro Jahr etwa 230.000 Menschen in diesen Ländern das Leben nahmen. Jeder Fünfte dieser Suizide stand direkt oder indirekt mit Arbeitslosigkeit in Verbindung. Die unterschiedlichen Weltregionen spielten keine Rolle. Gegenüber früheren Studien zeigte sich, dass Männer und Frauen in allen Altersklassen gleichermaßen betroffen waren. Ebenso konnte ein Zusammenhang zwischen Suizidrate und Wirtschaftskrise (wie die Finanzkrise 2008) nachgewiesen werden. Insgesamt ist das Risiko für Suizid zwischen 2000 und 2011 um 20 bis 30 Prozent gestiegen. Überraschend war außerdem, dass die Suizidrate in Ländern, in denen Arbeitslosigkeit eher ungewöhnlich eingestuft wird, besonders hoch war. Mögliche Erklärung hiefür ist, dass ein unerwarteter Anstieg der Arbeitslosenquote größere Ängste und Unsicherheiten auslösen könnte als in Ländern mit ohnehin schon höherer Arbeitslosenquote.
Was tun?
Die Studie belegt einerseits, dass die Arbeit ein sehr wichtiger Faktor ist – andererseits fordert sie auf, aktiv zu werden. Die Forscher der Studie sagen: Suizide sind letztendlich nichts anderes als die Spitze vom Eisberg. Selbst Arbeitende sind oftmals – durch sinkende Löhne, Kurzarbeit, unsichere Arbeitsplätze, Schulden, Insolvenz, etc. – psychisch schwer belastet. Es sind wirtschaftliche Nöte, die psychosozial hervortreten und letztendlich Suizide begünstigen.
Dementsprechend bedarf es präventiver Maßnahmen und Vorsorgestrategien, die ansetzen, bevor es zu spät ist. Erhöhte Suizidrisiken müssen bei den Betroffenen viel früher und besser erkannt werden. In diesem Zusammenhang könnte es sich z.B. lohnen, das soziale Umfeld stärker mit einzubeziehen und das Fachpersonal (etwa in Personalabteilungen) zu schulen. So könnten Personalverantwortliche notfalls auf Hilfsangebote – wie das Krisentelefon oder psychiatrische Einrichtungen – hinweisen, sollte sich bei einem Mitarbeiter eine suizidale Krise (z.B. im Kündigungsfall) abzeichnen. Es wären zwar nur kleine Schritte – aber in manchen Fällen könnten sie möglicherweise tatsächlich helfen, Leben zu retten.
Kreisen Eure Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Dann sprecht mit anderen Menschen darüber. Auf unserer Webseite findet Ihr unter „Hilfe“ weitere – auch anonyme – Hilfsangebote in vermeintlich auswegslosen Lebenslagen. Per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch vor Ort.